Pilz. Versuchslabor und Heilsversprechen

28.10.-18.12.2022

Pilze gibt es in einer grossen Diversität, wobei Schätzungen zufolge davon gegenwärtig noch über 90 Prozent unbekannt sind. Das, was wir an der Oberfläche von ihnen sehen, entspricht nur wenigen Prozenten ihres Wesens – der Grossteil ist für unsere Augen unsichtbar. Und hier beginnt die Faszination: Das Organismenreich, das sich unter- wie überirdisch verbindet ist immens. So bildet sich eine Kartografie, die ständig in Bewegung und Transformation ist. Je mehr wir über Pilze erfahren, desto mehr wird bewusst, wie wenig wir über sie wissen oder aber wie vielseitig ihr Nutzen für eine mögliche netzwerkorientierte sowie erdölfreie Zukunft ist.

Eine Ausstellung mit: Valentin Beck, Franca Franz, Isabel Fredeus, Patrik Mürner und Soektin Verslype

Potentialität des Pilzes

Im Jahr 2021 starteten der Mykologe Patrik Mürner (*1969 in Meggen, lebt und arbeitet in Emmenbrücke) und der Künstler Valentin Beck (*1986 in Malters, lebt und arbeitet in Luzern) eine Zusammenarbeit, um die Potentialität des Pilzes für eine nachhaltige Zukunft zu visualisieren. Das Forschungsprojekt findet im Benzeholz in Form einer «Pilz-Wunderkammer» eine erste Umsetzung: Mycolegos, Kartografie der Unschärfe, Leben nach dem Supergau, Altlastensanierungceci n’est pas un champignon – mycelium! Die vielfältige Anordnung von Frucht-körpern, Bauklötzen, Bodenplatten, Pillen oder Büchern lädt dazu ein in die faszinierende Welt der Pilze - und des Myzels – einzutauchen. Details sind auf der Werkliste zu finden.

Der Pilz als Heilsversprechen

Am 15. Oktober 2022 publizierte das Magazin des Tagesanzeigers den Artikel «Hoffnungsschimmel für die Menschheit – Mit Pilzen die Welt retten» und fragt danach, ob Pilze uns Menschen und damit unser Leben auf dem Planeten retten können. Die Hoffnung auf ein Heilsver-sprechen, mit der wir uns heute den Pilzen annähern, scheint von grossem Ausmass zu sein – ein wahrer Hype. Franca Franz (*1986 in Darmstadt, DE, lebt und arbeitet in Leipzig, DE) interessiert sich für die daraus resultierende Ambivalenz: das Zusammenspiel von verstärkter Neugierde und der gleichzeitigen Ehrfurcht vor der noch so unbekannten Spezies. Mit Öl auf Holz malt sie Lamellen und Poren, die in ihrer Abstraktion sowohl Assoziationen zum Magic Mushroom eröffnen wie auch an moderne, sakrale Glasmalereien erinnern. Als Installation an der Wand erscheinen die Bilder wie Fragmente eines Kirchenfensters. Die Überführung des Themas in den Glaubenskontext wird durch das Filz-objekt in Form eines Taufbeckens weiter verstärkt.

Optische Faszination

In der malerischen Tätigkeit von Soetkin Verslype (*1994 in Leper, BE, lebt und arbeitet in Mariaburg, BE) sind Form- und Farbgebung zentral. Die Künstlerin nutzt ihre Sommer-Resicendy in Belgien, um die bunten Lebensgemeinschaften auf Ästen und Baumstämmen zu erforschen: Flechten - Doppelwesen aus Algen und Pilzen. Während der Pilz der Alge ein Zuhause gibt, schenkt die Alge dem Pilz Kohlenhydrate. Weiter liefern gerade Farb und Form der Flechte Anhaltspunkte, um den Säuregehalt des Regens oder die Luftverschmutzung zu messen. Um ihre Beobachtungen auf ästhetisierte Weise auf Papier zu überführen, orientiert sich Verslype innerhalb einer Darstellung an der Farbpalette der jeweiligen Flechte. In der Serie mögen die Bilder eine berauschende wie verführerische Wirkungsmacht entfalten und uns ins tiefe Dickicht des Waldes versetzen.

Der Fluss des Myzels

Isabel Fredeus (*1991 in Wilrijk, BE, lebt und arbeitet in Kapellen, BE) arbeitet stets prozessorientiert. In ihrer Praxis beschäftigt sie sich mit natürlichen Prozessen, physikalischen Gesetzmässigkeiten und deren Symbolik. Dabei verknüpft sie Spiritualität mit feinem Humor, mit wissenschaftlichen Ansätzen und poetischen Schichtungen. In Kollaboration mit der belgischen Biologin Dr. Elise Elsacker forscht die Künstlerin in einem Langzeitprojekt am Fluss des Myzels. Als Myzel wird die Gesamtheit aller Hyphen – der fadenförmigen Zellen eines Pilzes – bezeichnet, woraus der eigentliche Pilz besteht. Die Installation aus Glas-, Gips- und Bronzeobjekten sowie in Meggen aufgefundenem Holz visualisiert diese, für unsere Augen kaum sichtbaren Verläufe. So sind es die einzelnen Verknüpfungen, die durch das Myzel entstehen und womit symbiotische Verbindungen erzeugt werden, welche die Künstlerin interessieren.

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Text: Katrin Sperry
Bilder: Ralph Kühne