Das Ausstellungsjahr 2025 im Benzeholz rückt das gemeinschaftliche Arbeiten ins Zentrum. Anhand von drei Positionen werden unterschiedliche Formen künstlerischer Kollaboration behandelt. Mit Lulu&Whiskey bespielt ein Kollektiv das Haus, das sich als gleichwertige Gemeinschaft aller involvierten Entitäten ihrer gemeinschaftlich geschaffenen Werke versteht. Im Zentrum ihrer künstlerischen Praxis steht die Frage, wie Menschen, Nichtmenschen und Materie miteinander interagieren, kommunizieren und leben.
Der Ausstellungstitel «after the rain comes sun again» verweist auf den Song «Underwater Love» (1995) von Smoke City. Darin dient das Unterwasserdasein als Metapher für die zyklische Natur von Beziehungen – mit ihren Höhen, Tiefen und der sich ständig verändernden Dynamik.
Die Symbolik des Wassers als wandlungsfähiges und allgegenwärtiges Element prägt auch die Arbeit von Lulu&Whiskey. Inspiriert von Theorien des Hydrofeminismus – der Wasser als Speicher kollektiver Geschichte und als verbindendes Medium begreift – suchen sie den Dialog mit Archäolog:innen, übertragen Relikte in den digitalen Raum oder verweben performative Elemente mit historischen Referenzen.
Gleich zu Beginn der Ausstellung breitet sich ein grossflächiges Relief aus Lehm auf dem Boden aus. Das Material haben Lulu&Whiskey eigenhändig aus der Grube bei Rapperswil (BE) geschaufelt. Direkt dem Erdreich entnommen, ist es mit uralten Partikeln versetzt, deren Ursprung womöglich bis hin zur letzten Eiszeit zurückreicht. Hier wird der Lehm zum Abbild einer Zeit lange vor uns – sowie einer, die wohl weit über unsere menschliche Existenz hinausführt.
Vor Ort haben Lulu&Whiskey die Materie mit einer Mischung aus See- und Leitungswasser angerührt und nass auf ein abgestecktes Quadrat im Raum aufgetragen. Als Bildfläche erscheinen darauf Zeichnungen aus dem Archiv ihres künstlerischen Schaffens: Gedanken, Referenzen und Motive, die wiederholt auftauchen. Im Verlauf der Zeit trocknet das Relief und dessen Feuchtigkeit verdunstet in der Luft, die wir Besucher:innen ein- und ausatmen und damit internalisieren wie weitergeben. Die Bodenarbeit bildet Risse und zerfällt in Fragmente. Nach dem Ausstellungsende werden die getrockneten Stücke im Atelier von Lulu&Whiskey gebrannt, konserviert und weiterverarbeitet – um vielleicht woanders wieder aufzutauchen.
Auch in der Videoprojektion «underwatergardens as cosmic terrains» (2025) im ersten Stock fügen sich verschiedene Erzählstränge zu einem Ganzen. Als Betrachter:innen tauchen wir selbst in eine Unterwasserwelt ein: Umgeben von versunkenen Objekten führt uns eine poetische Stimme durch fliessende Welten. Dabei scheint alles zu atmen: der Frosch, die Keramiken in der Tiefsee, die heissen Quellen auf Island. Hier verschmelzen das Digitale und das Analoge, Realität und Fiktion, Vergangenheit, Gegenwart und mögliche Zukünfte – alles tritt miteinander in Beziehung. Dieser Zustand des Fluiden zieht sich durch die gesamte Praxis von Lulu&Whiskey. Damit kratzt das Kollektiv auch an Grenzen von Binaritäten, linearem Denken und tradiertem Verstehen, mit dem Ziel neue Visionen zu entwerfen.
An der Vernissage und an der Finissage wird das Wasser aus dem Vierwaldstättersee schliesslich selbst zur performativen Sequenz. Über eine Luke im Dachstock gepumpt und geschützt durch einen durchsichtigen Schlauch, zirkuliert es durch das gesamte Haus: Es schlängelt sich durch gläserne Gucklöcher, hört uns und der Kunst zu, beobachtet und speichert. Es begegnet einzelnen Keramikobjekten sowie kleineren, in sich geschlossenen Systemen, die wie Ruhepole zwischen dem Strom weilen und deren Titel auf mythologische Erzählungen, Science-Fiction, archäologischen Erzählungen oder auf eigene Gedichte referieren. Letztlich schwappt es über die Vorplatzfläche und gibt das aufgenommene Nass zurück in den See – wo es von all dem berichten mag, was es ausserhalb des Beckens erlebt hat.
Wie wirken Kräfte in der Natur als Spiegel für gesellschaftliches Verhalten und Verantwortung? Bestimmt behandeln Lulu&Whiskey mit ihrer Arbeitsweise Fragen nach der Bewegung und der Balance im Haushalt von grossen und kleinen (Öko-)Systemen sowie der Rolle von uns Menschen darin. Durch die wiederkehrende Visualisierung von Händen, Füssen sowie Fingerabdrücken als Spuren des Arbeitsprozesses, mag uns die Ausstellung von Lulu&Whiskey somit auch daran erinnern, dass wir – stets untrennbar mit allem, was uns umgibt - die Geschichtsschreibung und unsere Umwelt fortlaufend mitgestalten. Damit verhandeln Lulu&Whiskey Fragen des Zusammenlebens und des kollektiven Bewusstseins auf eine neue Ebene.
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Text: Katrin Sperry
Fotos: Ralph Kühne