Das Benzeholz zeigt die erste grosse Einzelausstellung der Nidwaldner Künstlerin Mireille Tscholitsch (*1971). Vergänglichkeit und flüchtige Phänomene wie das Licht- und Schattenspiel kommen in ihrem Werk zum Tragen. In Fotografie und Textil arbeitet die Künstlerin häufig mit Blumen- und Pflanzenmotiven, welche seit dem Mittelalter als Symbole der Reinheit und der Schönheit, aber auch der unbeständigen Sinneswelt verwendet wurden. Nicht nur traditionelle Bildmotive werden neu gedacht, auch über Jahrhunderte vermittelte Methoden der Handarbeit werden aufgegriffen. Befreit von seinem Nutzen wird das Textil zur Grundlage künstlerischer Anschauung und vermittelt poetische und philosophische Gedankengänge. Auch in fotografischen und videografischen Arbeiten reflektiert die Künstlerin die Eigenschaften des jeweiligen Mediums und lässt Zeitlichkeiten, Transparenzen und Kontraste sichtbar werden. Im Benzeholz ist eine Reihe neuer Werke zu sehen, die Mireille Tscholitsch auf ihrer Japanreise 2006 aufgenommen oder davon inspiriert, in ihrer Heimat entwickelt hat.
Eröffnet wird die Ausstellung mit zwei Plakaten, deren unveränderte Aufnahmen sowohl für Japan als auch für das Schaffen der Künstlerin zentrale Themen aufgreifen: Auf dem einen sind auf den Boden gefallene und verwelkende Kirschblütenblätter zu sehen, auf dem anderen scheint durch eine weisse Plane der lichtdurchflutete Hintergrund mit dunklen Blättern und Pflanzen. Gleich der kurz andauernden Pracht der Kirschblüte begleitet die flüchtig vorübergleitende Welt der Sinnesfreuden den Besucher durch die Ausstellung. So werden im Dachstock nach traditionellem Muster gehäkelte hellrosa Blüten wie präparierte Insekten auf die Wand gepinnt. Ihre Strahlkraft und Schatten kommen durch die Beleuchtung zum Vorschein.
In den Werken im Obergeschoss wird gleichzeitig die Beziehung zwischen öffentlich und privat sowie zwischen Fülle und Leere angesprochen. Dieses Spannungsfeld ist in den einzelnen Arbeiten medial erfahrbar. So verleiht die Künstlerin der sich in der Öffentlichkeit eines Zugabteils schminkenden Frau durch die Überlagerung von Bildern und das Verwischen der Konturen wieder eine Art Intimität. Das männliche Pendant dazu, auf Japanisch „Koi“ genannt, wird auf übernatürliche Weise verdichtet und mit einem neuen Kontext hinterlegt. Aus dem Kontext enthoben findet sich auch das Motiv der Fotografierenden, welche weiss in weiss auf transparenten Stoff gestickt sind und so nur durch die Dichte der Stickerei zum Vorschein kommen. Das in der Leere der Stickerei angedeutete, aber entgleitende Bild findet seine Auflösung in den fotografierten Personen. Verpixelt und in kleinem Format gibt die Künstlerin den Bildern ihren Charakter und ihre Privatheit zurück. Die Bilder hat sie in ihren eigenen Bildern auf zufällig mitfotografierten Handy- und Kameradisplays fremder Personen gefunden und ausgeschnitten.
Die in unzähligen Stunden gefertigten Handarbeiten, deren Anfangs- und Endfäden lose herabhängen, bilden einen Gegenpol zu den digitalen Hochglanzfotografien. Mireille Tscholitsch orientiert sich an der Wirklichkeit, die aber in der Überführung ins Werk eine Erweiterung oder eine Zuspitzung erfährt, ähnlich wie der Bonsai in der japanischen Kultur: Nach dem Vorbild der Natur von Menschenhand beschnitten, wird er zur Künstlichkeit der Natur selbst. Die in der Ausstellung versammelten Werke beleuchten auf ihre Art und Weise Gegensätze zwischen heute und gestern, zwischen Tradition und fortgeschrittener Technisierung, Dichte und Leere oder Konstruktion und Zufall, wie sie in besonderer Konzentration in Japan aufeinanderprallen, aber auch in unserer Kultur anzutreffen sind und eine wichtige menschliche Grundkonstante bilden.
Text: Annamira Jochim
Bilder: Ralph Kühne