Jeanne Jacob (*1994 in Neuchâtel, lebt in Biel) und Dimitris Tampakis (*1991 in Athen, lebt in Athen, GR) erzählen in der Ausstellung «Delayed in frozen desires» vom Risiko der Intimität, von den Monstern, die sich zeigen, wenn wir uns öffnen und dem anderen hingeben – und der andere sich uns hingibt. Ideale und Bedürfnisse werden in ihrer Beständigkeit gezeigt und in ihrer Vergänglichkeit anerkannt, denn Zeit und Gemeinschaft sind Verwandlungen und Auflösungen ausgesetzt. Die Präsentation bildet den Abschluss der Jahresreihe im Benzeholz, die 2025 die Arbeit im Kollektiv in den Mittelpunkt stellt.
«Delayed in frozen desires» ist die erste künstlerische Kollaboration zwischen Jacob und Tampakis, die eine langjährigeFreundschaft verbindet. In ihrer Zusammenarbeit haben sie sich bewusst auf unbekanntes Terrain begeben, neue Medien erprobt und Teile ihrer Werke in einem gemeinschaftlichen Prozess vor Ort fertiggestellt. So ist eine Ausstellung entstanden, die sich nicht auf Eindeutigkeiten festlegt, sondern Offenheit, Vielstimmigkeit und Community ins Zentrum rückt.
Gleich zu Beginn der Ausstellung treten die Werke von Jeanne Jacob und Dimitris Tampakis in einen Dialog. In der kleinformatigen Serie «All or nothing at all» (2025), die während Jacobs Arbeitsaufenthalt in Athen entstand, erforscht die Künstlerin die Natur menschlicher Verbindungen. Indem sie die Komplexität von Emotionen untersucht, schafft sie einen Raum, in dem Mehrdeutigkeit zum Mittel der Selbstreflexion wird. Zugleich verweist das Werk darauf, dass Vorstellungen von Nähe und Intimität immer auch von normativen Erwartungen geprägt sind. Selbst im Moment des Ausbruchs aus den Normen bleibt man von den Massstäben des eigenen Kontextes beeinflusst. Dabei sind diese Ordnungen wandelbar, auch wenn sie sich stabil und unverrückbar geben. Auf Fotopapier gemalt und in Epoxid gegossen, entwickeln die Zeichnungen eine fragile, vielschichtige Bildoberfläche. Das Epoxid entzieht sich der vollständigen Kontrolle, lässt Unvorhergesehenes zu und erzeugt Momente des Zufalls. So entstehen Werke, die wie Collagen wirken: ein wenig entrückt und träumerisch. Die Erzählungen sind nicht linear und nicht und die Narrative, die die Figuren verbinden, speisen sich aus dem, was der Künstlerin beim Entstehen begegnet und was sie miteinander verwob: Motive, Stimmungen, Eindrücke.
Jeanne Jacobs grossformatiges Gemälde «Le Pique-nique» (2023) richtet den Blick auf die aus dem Zusammensein in geteilter emotionaler wie körperlicher Fürsorge und die Power, die daraus entstehen kann.
Dem gegenüber steht eine spitz zulaufende Skulptur von Dimitris Tampakis, begleitet von kleineren, dornenförmigen Arbeiten, die von der Decke hängen. Die metallischen Formen wirken spannungsgeladen und kraftvoll, evozieren aber eine Ambivalenz. Sie rufen das Gefühl des l’appel du vide (Ruf der Leere) hervor: den flüchtigen Impuls, eine gefährliche Handlung auszuführen, obwohl keine tatsächliche Absicht dazu besteht. In diesem verlockenden, gefährlichen Reiz verbinden sich Sehnsucht nach Nähe und Intensität mit der Erfahrung von Verletzlichkeit. Ihre erotischen Qualitäten machen die Skulpturen zu Metaphern für ein Begehren, das zugleich verführt und gefährdet. Im Dialog mit Jacobs Arbeiten verweisen sie auf das Spannungsfeld, das jeder Form der menschlichen Nähe innewohnt: Freiheit und Kontrolle, Offenheit und Selbstschutz, Anziehung und das Risiko, verletzt zu werden.
Im ersten Obergeschoss begegnen wir einer Videoarbeit, die Jacob und Tampakis gemeinsam auf der griechischen Insel Tinos gedreht haben. Vier Sequenzen wiederholen sich jeweils leicht verändert und wirken wie unterschiedliche Erzählungen desselben erlebten Moments. Das Video wechselt zwischen Innen- und Aussensequenzen, die metaphorisch für den Körper in intro- und extrospektiver Wahrnehmung stehen, und dabei eine traumartige, suchende, sehnsüchtige Stimmung entfalten.
Das reflektierende Metall von Tampakis' Skulpturen nimmt die Bewegungen der Videobilder auf, sodass sich Bild und Objekt gegenseitig durchdringen. Im Ausstellungsraum entsteht eine Atmosphäre, die an die Tropfsteinhöhle erinnert, in der Teile des Films aufgenommen wurden: dicht, geheimnisvoll und gefährlich. Wie ihr Pendant im Untergeschoss wirken sie archaisch und körperlich, sinnlich und erotisch.
Die Bildsprache von Dimitris Tampakis’ Aluminiumbilder «Held-in» (2025) und «In 30 seconds flat» (2025) verschränkt sich mit den Malereien von Jeanne Jacob. Tampakis zeigt einen Moment inniger zwischenmenschlicher Nähe, wobei nicht eindeutig zu entschlüsseln ist, ob es sich um Liebende, Familienmitglieder, Freund:innen oder Bekannte handelt. Die Umarmung als universelle Geste kann Ausdruck der Fürsorge, des Trosts oder des Begehrens sein. Romantisch, freundschaftlich oder beides zugleich. Die Serie verweist auf die Vielgestaltigkeit von Zuwendung und Liebe, sowie auf die tiefe Verbundenheit, die auch jenseits romantischer Beziehungen existieren kann. Dabei ist Nähe immer auch ein Kompromiss zwischen Freiheit und Kontrolle, zwischen Verletzlichkeit und Selbstschutz.
Das Soundpiece «Louder than touch (or an embrace by what’s missing)» (2025) von Panos Alexiadis, in dem Beatrice Beispiel Songtexten aus Liedern von Dalida, Litsa Diamanti und Stratos Dionysiou spricht, erweitert die Ausstellung um eine zusätzliche Ebene. Es knüpft an die persönlichen Arbeiten von Jacob und Tampakis an und setzt ihre Themen in einen grösseren kulturellen Kontext, in dem Liebe, Begehren und Sehnsucht seit Jahrhunderten verhandelt werden. Indem die Künstler:innen weitere Stimmen einbeziehen, betonen sie den gemeinschaftlichen Charakter ihrer Praxis und öffnen einen Resonanzraum, in dem verschiedene Perspektiven Platz finden. Das Soundpiece thematisiert, was wir alle brauchen: Liebe. Doch die hier dargestellte Liebe unterscheidet sich von den idealisierten Bildern, wie wir sie aus der Popkultur kennen. Sie zeigt sich als eine fortwährende Aushandlung zwischen Nähe und Distanz, zwischen Begehren und Selbstschutz.
Im Dachgeschoss begegnen wir der Skulptur «Here is a chorus floating in my body» (2025). Skurril, science-fictionhaft scheinen die verschlungenen, in Silikon gehüllten Körper wie eingefroren und im Schmelzen begriffen zugleich. Hosenbeine, Gesichter und Haare sind erkennbar, doch als Ganzes entzieht sich die Installation: eine Komposition aus Fragmenten, in der Verbindungen entstehen und sich lösen, Elemente hervortreten, anderes verschleiert bleibt. Das Silikon wirkt trotz seiner Transparenz fleischlich, es schützt und enthüllt gleichermassen. Die Skulptur lockt mit ihrer Groteskheit und ihrer Materialität. Sie zieht uns in einen seltsamen, traumartigen Bann und verführt uns beinahe zur Berührung.
Von der Wand aus beobachten die Figuren in Jeanne Jacobs Diptychon «Whispering Sequences» (2025) die im Raum befindliche Skulptur und referenzieren sie in ihrer eigenen Bizarrheit. So scheinen die auf «Here is a chorus floating in my body» befindlichen Haarbüschel ihren Weg in die Malerei gefunden zu haben. Das Diptychon zeigt zwei aufeinanderfolgende Szenen, wobei jedes Bild am Anfang oder am Ende der Erzählung stehen kann und sich somit in einem metaphorischen kontinuierlichen Fluss durch den ganzen Raum befinden.
In der Ausstellung «Delayed in frozen desires» zeigt sich der Wunsch, flüchtige Augenblicke von Zuwendung und Begehren sichtbar zu machen – Momente, die für einen Atemzug angehalten scheinen, um gleich darauf wieder in Bewegung zu geraten.
Text: Miriam Edmunds
Fotos: Ralph Kühne